Lutz Gerhard
Hair & Nail
Bonn
Haarausfall durch Medikamente wird häufig kontrovers diskutiert, außer er ist durch Chemotherapeutika oder Zytostatika verursacht. Aber abgesehen von diesen Substanzen sind mehr als 500 Medikamente bekannt, bei denen ursächlich Haarausfall auftritt bzw. als mögliche Nebenwirkung erwähnt wird. Ähnlich wie in einem Kriminalfall ist es die Aufgabe des Arztes die verursachenden Medikamente herauszufiltern und wenn möglich zu reduzieren oder sogar abzusetzen, sofern dies von medizinischer Seite möglich ist. Wie in jedem Kriminalfall ist jedoch auch hier eine rationale und zielgerichtete Vorgehensweise erforderlich, um einen maximalen Erfolg zu erzielen.
Die ersten Schritte in der Diagnostik:
Bevor ein ursächlicher Zusammenhang angenommen wird, ist es zunächst erforderlich eine umfassende Medikamentenanamnese durchzuführen und dies gilt prinzipiell für jeden Patienten mit Haarausfall. Denn sowohl Patienten mit kreisrundem, anlagenbedingten oder narbigen Haarausfall können auch Medikamente einnehmen, die das Haarwachstum zusätzlich stören können. In vielen Fällen finden sich bereits im Beipackzettel in der Rubrik „Nebenwirkungen“ Hinweise auf einen möglichen Haarausfall als eine unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung.
Sofern sich hier keine Hinweise finden, ist jedoch eine derartige Nebenwirkung nicht gänzlich ausgeschlossen, wie Recherchen in medizinischen Datenbanken zu dieser Problematik zeigen. Meist wird diese Nebenwirkung graduiert in häufig, gelegentlich, selten etc. angegeben. Die Dunkelziffer bezüglich dieser Häufigkeiten dürfte jedoch weitaus höher liegen, denn im Gegensatz zu schweren Arzneimittelnebenwirkungen, wird Haarausfall allgemein als nicht bedrohlich angesehen, sodass sicherlich nicht in jedem Fall eine Meldung an den Hersteller oder das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgt.
Mögliche Medikamente
Das Spektrum der Medikamente, bei denen Haarausfall erwähnt wird ist sehr unterschiedlich und umfasst Medikamente für die unterschiedlichsten medizinischen Indikationen. Die klinische Erfahrung und die Häufigkeit der Meldungen lassen jedoch eine Einschätzung hinsichtlich des Potenzials einer relevanten Haarwachstumsstörung zu. Abgesehen von den Chemotherapeutika/Zytostatika können z.B. insbesondere Medikamente die den Blutdruck oder die Blutfette senken aber auch Blutverdünner (Antikoagulantien), Entzündungshemmer (Antiphlogistika), Antiepileptika, diverse Antibiotika, Säureblocker (Antacida), die unterschiedlichste Psychopharmaka sowie die neue Gruppe der Biologika dosisabhängig das Haarwachstum stören. Verstärkt bzw. potenziert wird die Haarwachstumsstörung häufig noch durch das gleichzeitige Einnehmen mehrerer, derartiger Medikamente. Meist ältere Patienten nehmen nicht selten 5 oder 6 Medikamente gleichzeitig ein, bei denen Haarausfall in unterschiedlicher Häufigkeit als mögliche Nebenwirkung beschrieben ist.
Klinik des medikamentös bedingten Haarausfalls
Das klinische Bild des medikamentös bedingten Haarausfalls ist normalerweise geprägt von einer diffusen Haarlichtung im Bereich des Haupthaares. Es zeigt sich gleichzeitig sowohl im oberen, als auch im seitlichen und hinteren Kopfbereich eine diffuse Haarlichtung, die durch einen vermehrten Ausfall oder durch ein nicht mehr gänzliches Nachwachsen ausgefallener Haare hervorgerufen wird. Sofern das bzw. die Medikamente nur moderat das Haarwachstum hemmen, ist nur das Kopfhaar betroffen. Dieser Haarausfall zeigt sich zeitverzögert meist 3-4 Monate nach der Einnahme und hält meist ein paar Wochen an. Sofern das bzw. die Medikamente nur kurzfristig verabreicht wurden, wachsen die vermehrt ausfallenden Haare im Verlauf der nächsten 4-6 Monate komplett wieder nach. Bei den stärker das Haarwachstum hemmenden Medikamenten kann auch die Körperbehaarung betroffen sein und es kann innerhalb von 2-3 Wochen nach Verabreichung zu einem massiven Haarausfall führen, der in einer totalen Alopezie endet. Sofern die Störung des Haarwachstums nur vorübergehend oder in wenigen Zyklen erfolgte, wachsen auch in diesen Fällen im Verlauf der nächsten 6 Monate alle Haare wieder nach. Allerdings gibt es auch Fälle wo die Medikation eine permanente bzw. irreversible Schädigung der Haarfollikel verursachte. Diese Wahrscheinlichkeit trifft insbesondere für die Gruppe der Chemotherapeutika/Zytostatika zu. Insbesondere bei einer Kombination derartiger Medikamente, wie sie häufig bei der Therapie eines aggressiven Brustkrebses oder im Zusammenhang mit Knochenmarkstransplantationen erforderlich ist, kann es zu einer so starken Schädigung der Haarfollikel kommen, sodass nur noch spärliches Flaumhaar-Wachstum für den Rest des Lebens möglich ist.